Es war dunkel. Ich hörte Stimmen. Sie schienen jemanden zu suchen. Aber wen? Ich versuchte mich zu bewegen. Der Untergrund bewegte sich, er schien nicht fest zu sein. Vorsichtig bewegte ich meine Arme und Beine. Als ich beim rechten Fuß ankam, durchzuckte ein glühender Schmerz mein ganzes Bein. Da stimmte irgendetwas nicht. Schon überlegte ich, ob ich um Hilfe rufen sollte. Aus irgendeinem Grund unterließ ich es, war unsicher, ob die Suchaktion mir galt. Still lag ich da und wartete, bis sich die Stimmen entfernten. Dann versuchte ich, mich in der Dunkelheit umzuschauen. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das wenige Licht. Unweit von mir war eine kleine Felsspalte zu sehen, ich versuchte, mich dorthin zu rollen. Es tat weh, als ich von dem Gesträuch, das meinen Fall nach unten gebremst hatte, herunter in die Spalte rollte. Und es war keine Minute zu früh. Kaum lag ich dort verborgen, als Lichstrahlen zu sehen waren, die von oben herabschienen und den Abhang absuchten. Nun war klar, daß die Suche mir galt. Und den Stimmen nach zu urteilen waren diese Leute mir gegenüber nicht gerade freundlich gesinnt. Sie sprachen davon, daß sie mich unbedingt kriegen müßten, damit ich nicht mit meinem Wissen alles kaputtmachen würde. Das kleine schwarze Buch dürfe niemals in falsche Hände kommen. Ich staunte. Welches kleine schwarze Buch, und wieso zur Hölle suchten die mich. Und, verdammt nochmal, wer zur Hölle war ICH? Wie war ich in diese Situation reingerutscht?

Durch das Runterrollen vom Gesträuch hatte ich den Fuß stark bewegen müssen. Die Schmerzen pochten im Fuß, ich konnte kaum ein Aufstöhnen verhindern. Mühselig biß ich die Zähne zusammen. Was war bloß passiert? Ich wußte es nicht mehr. Da war Dunkelheit, und kein Lichtschimmer, der die Vergangenheit preisgab. Das kleine schwarze Buch, hatten sie gesagt. Ich kam mir wie in einem schlechten Roman vor. Roman? Ich hatte also in meinem Leben vorher gerne mal gelesen..., oder hatte ich den Spruch nur aufgeschnappt? Ich wußte es nicht. Die Gedanken lenkten mich etwas von den Schmerzen im Fuß ab. Hoffentlich war er nicht gebrochen, sonst hatte ich keine Chance, ihnen jemals zu entkommen.

Müde schloß ich die Augen. Ich hatte das Gefühl, der ganze Körper würde nach und nach zu brennen anfangen. Die Schmerzen waren längst nicht mehr nur im Fuß. Ein leises Stöhnen entrann meinen Lippen. Ich erschrak. Hoffentlich hatte es niemand gehört! Aber alles blieb ruhig, die Stimmen hatten sich entfernt. Irgendwann war die Müdigkeit stärker als die Schmerzen, und ich fiel in einen kurzen und unruhigen Schlaf. Verworrene Träume quälten mich, Bilder schossen mir durch den Kopf, die ich nicht einordnen konnte. Ich sah Gesichter, die mir fremd und doch so bekannt waren. Als ich mich dann im Schlaf von einer Seite auf die andere werfen wollte, wachte ich wieder auf. Die enge Spalte zeigte mir die Grenzen, in denen ich mich bewegen konnte. Ich schaute raus aus der Spalte, und sah, daß bald die Sonne aufgehen würde. Langsam war die Gegend erkennbar. Ob meine Verfolger noch immer auf mich warteten? Ich schauderte. Auch wenn ich mich nicht erinnerte, was geschehen war, so reichten mir die gehörten Stimmen der letzten Nacht. War ich ein Verbrecher, oder waren sie die Verbrecher? War das schwarze Buch wichtig, weil es sie entlarvte, oder wieso waren dort anscheinend wichtige Informationen drin, die in falsche Hände geraten konnten? Ich grübelte und grübelte, aber ich wußte es nicht. Nur eines wußte ich: Sie durften mich nicht finden, niemals!

Ich blieb den ganzen Tag über in der Spalte liegen, schaute mir von meinem Platz aus die Umgebung an, soweit dies möglich war, und gönnte meinem Körper Ruhe, vor allem dem Fuß. Ich war mittlerweile überzeugt, daß er nur gestaucht oder gezerrt war, denn, wenn auch unter Schmerzen, konnte er noch bewegt werden. Es war sehr warm, und Durst sowie Hunger quälten mich. Aber ich blieb liegen, hielt mich versteckt. Den ganzen Tag über hörte ich Stimmen, Wortfetzen drangen zu mir runter. Dann, kurz vor Sonnenuntergang, hörte ich, wie jemand meinte, die Suche wäre beendet, da der Alte nicht glauben würde, das eine Frau einen solchen Tag überstehen würde. Sie hätten für den nächsten Tag den Auftrag, den Abhang zu untersuchen, und die Leiche zu bergen, da er annehme, sie wäre dort runtergestürzt. Sie - das mußte dann wohl ich sein. Eine Frau also. Naja, das war mir schon klar gewesen, aber eine gesuchte Frau. Und ich mußte hier weg, sie würden mich gewiß am nächsten Tag hier entdecken.

Als die Dunkelheit da war, war es Zeit für einen Fluchtversuch. Vorsichtig bewegte ich mich. Und biß wieder die Zähne zusammen. Der Körper schmerzte höllisch. Aber ich mußte hier weg! Vorsichtig kroch ich unter der Spalte hervor. Es schien niemand mehr dazusein, nichts war zu hören. Es ging noch ein ganzes Stück abwärts, wie ich am Tage gesehen hatte. Ich rutschte langsam den Abhang hinunter. Sie würden die Spuren am nächsten Tag finden. Und wissen, daß ich lebe, und mich weiter jagen. Als ich am Fuß des Abhangs ankam, suchte ich mir einen starken Stock, auf den ich mich stützen konnte. Dann humpelte ich los. In der Ferne waren Lichter zu sehen. Dort mußte eine Ortschaft sein, dort wollte ich hin.

Ich lief und lief und hatte das Gefühl, ich würde den Lichtern nie näher kommen. Dann hörte ich das Ferne Grollen. Blitze zuckten, und dann kam der Regen. Kurz, aber heftig ging er nieder, war erlösend nach dieser Hitze den ganzen Tag über. Und er würde meine Spuren am Abhang verwischen, meine Spuren, wohin ich unterwegs war. Ob ich es riskieren konnte, dort oben an der Straße entlangzugehen, und per Anhalter zu fahren? Ich ließ es sein, es könnte ja sein, daß ich denen begegne, die mich suchten, und die ich nicht kannte. Da fiel mir das kleine schwarze Buch ein, daß sie erwähnt hatten. Ich befühlte meine Kleidung. Eine Jeans hatte ich an, ein Top und eine Weste, mit vielen Taschen, die alle mit irgendwelchen Gegenständen gefüllt waren. Und hinten in der Hosentasche, da steckt ein Büchlein, ein kleines schwarzes, eher wie ein Kalender anmutend. Und das wollten sie haben. Ich humpelte weiter.

Dann sah ich ihn, den Wagen. Er wirkte leer, es schien niemand in der Nähe zu sein. Ein kleiner schneller Flitzer. Ich hatte das Gefühl, mit diesem Auto etwas zu verbinden, als würde ich wissen, wem der Wagen gehöre. Hatte ich nicht in den Taschen Schlüssel gefühlt? Könnten das Autoschlüssel sein? Ich suchte nochmal in allen Taschen, und tatsächlich, da waren Autoschlüssel. Würden sie passen? Nervös schlich ich näher an den Wagen heran, und stellte fest, daß er tatsächlich unbewacht war. Ich probierte die Schlüssel aus und konnte mein Glück kaum fassen! Die Schlüssel paßten! Aufatmend ließ ich mich in den Fahrersitz fallen, und entspannte mich kurz. Also soviel stand nun fest. Ich war eine Frau, die ein geheimnisvolles schwarzes Büchlein hatte, auf das gewisse Leute aus irgendwelchen Gründen scharf waren. Und ich besaß einen netten kleinen Sportflitzer. Also schien ich gut zu verdienen. Aber wer war ich, was arbeitete ich?

Ich startete ersteinmal den Motor, um dort wegzukommen. Irgendwohin, wo ich meine Ruhe hatte, und unter die Dusche konnte. Wo ich meinen Körper pflegen und mich erholen konnte, wovon auch immer. Vorsichtig gab ich Gas. Mit dem schmerzenden Fuß klappte es zwar nicht so gut, aber es mußte einfach gehen. Ich fuhr los, weiter in Richtung Lichter, und dann an ihnen vorbei. Da war zuviel Angst, auf unbekannte Bekannte zu stoßen, die mich erkannten. Aber ich sie nicht. Ich fuhr sehr weit in dieser Nacht, mied alle Ortschaften. Die Sprache war für mich normal, ich sprach sie, ich las sie, aber ich konnte nicht einmal sagen, welche Nationalität ich hatte, ob ich mehr als diese eine Sprache sprechen konnte. Aber, mehr als welche Sprache, welche sprach ich denn? Hilflos fuhr ich an den Straßenrand, und legte kurz den Kopf auf das Lenkrad. Wer war ich, wo war ich, was war passiert? Je mehr ich überlegte, desto verworrener wurde alles. Tränen der Wut über mein eigenes Unvermögen liefen mir aus den Augen. Wütend wischte ich sie weg, sie waren in diesem Moment ein Zeichen der Schwäche, und schwach sein, das durfte ich jetzt nicht, nicht jetzt, jetzt mußte ich weiter! Zurück auf die Straße und fahren, fahren und nochmal fahren. Als der Morgen graute, hielt ich an einem Motel an. Sie stellten dort keine Fragen, wollten keinen Ausweis haben. In der Weste hatte ich Geld gefunden, damit bezahlte ich das Zimmer in bar. Und trug mich als Jane Smith ein. Der Name fiel mir gerade ein. Im Zimmer ging ich erst unter die Dusche, dann legte ich mich auf's Bett und schlief schnell ein. Als ich erwachte, stellte ich fest, daß ich über 10 Stunden am Stück geschlafen hatte. Der Schlaf hatte gut getan, erfrischt, neue Energie gegeben. Nochmals kurz unter die Dusche und dann weiter, waren meine Gedanken. Als ich an die Rezeption kam, um den Schlüssel abzugeben, hatte ich das merkwürdige Gefühl, mich beeilen zu müssen. Schnell gab ich alles ab und lief zum Wagen. Aus welcher Richtung war ich die Nacht gekommen? Ich fuhr los. An der Ausfahrt erkannte ich schnell, woher ich gekommen war und fuhr weiter. Nur weg von dem Ort, an dem ich aufgewachte war vor 2 Tagen.

Weiter ging es. Auf einem kleinen Parkplatz hielt ich an, um endlich mal das Auto näher zu untersuchen, herauszufinden, was da alles drin war, ob hier Papiere zu finden waren, die mich identifizierten. Es fanden sich Fahrzeugpapiere. Und ich schien mit dem Namen Jane Smith die Lage gut getroffen zu haben. Alle Papiere waren auf den Namen ausgestellt. Aber nicht nur auf den, alles war in dreifacher Ausgabe vorhanden. 3 Existenten hatte ich da vor mir liegen. Pässe und sonstige Papiere in 3 Sprachen, in Deutsch, Englisch und Französisch, und ich konnte sie alle lesen und verstehen. Also konnte ich diese 3 Sprachen. Wieder hatte ich etwas über mich herausgefunden. Das Auto wurde weiter von mir durchsucht. Ich fand noch Waffen. Waffen, 2 Pistolen und 3 Messer sowie eine komplette Ninja-Ausrüstung. War ich eine Asiatin, ein Ninja? Naja, nicht vom Aussehen her asiatisch, aber so erzogen? Es war die Ausrüstung eines weißen Ninjas, eines "guten" Ninjas also. Wo hatte ich diesen Kampfsport gelernt, konnte ich chinesisch oder japanisch sprechen, oder gar beides, konnte ich es lesen? Wozu war ich ausgebildet worden, und wieso das alles?

Ich konnte mir auf all das keinen Reim machen. Im Kofferraum befand sich eine Kiste mit Lebensmitteln. Durstig und hungrig machte ich mich darüber her. Als ich gestärkt war, nahm ich mir die Papiere, die alle auf Jane Smith ausgestellt waren, und versteckte die anderen Papiere wieder dort, wo ich sie gefunden hatte. In einem Seitenfach im Fahrerfußraum. Wie selbstverständlich hatte ich dort hingefaßt. Und die Papiere gefunden. Ich setzte mich wieder hinter's Steuer und fuhr weiter. Mittlerweile war mir eines klar. Ich war in Amerika, in einem Land mit langen geraden einsamen Straßen. Und ich wußte nicht, wo ich hin mußte, wem ich trauen konnte. Ich wußte nichts, und fuhr einfach weiter, nur immer weiter weg. Bis spät in die Nacht fuhr ich, durchquerte einen Bundestaat, und machte kurz hinter der Grenze halt. Ich fühlte mich etwas sicherer, und wollte in einem Motel übernachten.

Ich packte die Tasche mit den Klamotten und stieg aus. Es war ruhig. Etwas zu ruhig. Ich blieb stehen, als ob ich Witterung aufnehmen würde. Hier stimmte etwas nicht. Die Tasche zurück ins Auto werfen und die Beretta in die Hand nehmen geschah reflexartig, ohne nachzudenken.. Hoffentlich muß ich nicht schießen! Ich mochte niemanden verletzten. Nichts tat sich, alles blieb ruhig. Ohne weiter lange zu überlegen, schwang ich mich plötzlich schnell ins Auto, machte den Motor an und fuhr los. Aus den Augenwinkeln war zu sehen, wie aus dem Motel 3 Männer stürzten, ihre Waffen zogen und mir hinterherschossen. Ich duckte mich hinter dem Lenkrad, und verschwand in der Nacht. Nach einem kurzen Stück Fahrt bog ich von der Straße ab, machte die Scheinwerfer aus und wartete ab. Wieso hatten die gewußt, wo ich war, wo ich hinwollte? Nach kurzer Zeit fuhren 2 Wagen in schneller Fahrt auf der Straße vorbei. Mein Ziel mußte in dieser Richtung liegen, in die die Wagen gefahren waren. Aber was war das Ziel? Ich erschrak, als plötzlich neben mir ein Handy piepte. Das hatte ich ja gar nicht beachtet. Ich nahm das Teil in die Hand, und ließ mir die eingegangene SMS anzeigen. Als Absender stand dort "Schatz". War ich verlobt, verheiratet, oder sonst wie liiert? Hatte ich Kinder? Ich wußte es nicht. Ich las die SMS. Sie war kurz, und sagte mir nicht viel. Ich sollte mich dringend bei Orman melden. Tolle Idee, nur, wer zur Hölle war Orman? War das eine Falle? War es eine Spur zu meiner Identität?

Ich legte das Handy in das Fach zurück, in dem es gelegen hatte, und startete den Motor, um endlich weiterzufahren.

 

© GisHo (Montag, 23. Juni 2003, 02:29:59)